Ausstellung 21.09.23 - 15.10.23, Di - So 11:00 - 19:00 Eintritt: Kostenlos

steirischer herbst ’23

Villa Perpetuum Mobile

Gästeproduktion

In unserer Vorstellung wird das Forum Stadtpark zum Wohnsitz eines Dissidenten an mehreren Fronten: der Physiker, Dichter und zeitweilige Psychiatriepatient Stefan Marinov (1931–1997). Marinov genügte es nicht, gegen die kommunistische Regierung seiner Heimat Bulgarien zu opponieren, er wandte sich auch gegen Einsteins Relativitätstheorie. In den 1970er-Jahren emigrierte er und verbrachte die letzten Jahrzehnte seines Lebens in Graz, wo er sein eigenes Institute of Fundamental Physics gründete und tagsüber als Pferdepfleger arbeitete.

Marinov konzentrierte seine Energien hauptsächlich auf die Erfindung eines Perpetuum mobile. Viele seiner Kolleg:innen, darunter der sowjetische Dissident Andrej Sacharow, hielten ihn für einen Schwindler. Dennoch genoss Marinov unter den Anhänger:innen alternativer Physikmodelle ein hohes Ansehen. Er reiste viel, auch nach Kalifornien, wo seine Theorien auf dankbare esoterische Ohren stießen. Doch als seine Experimente scheiterten, stürzte er sich von einer Freitreppe der Grazer Universitätsbibliothek in den Tod. Die Installation im Forum Stadtpark verbindet Marinovs Bücher und Dokumente mit Werken von Künstler:innen, die sich mit den physikalischen Prinzipien beschäftigen, die ihn verfolgten.

Eine Gruppenausstellung mit:

  • Vadim Fishkin
  • Pedro Gómez-Egaña
  • Michael Stevenson
  • Hollis Frampton
  • Alice Creischer
  • Stefan Marinovs Nachlass

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- Ausstellungseröffnung: 21.9., 13:00 - 19:00

- Ausstellungsgespräch: 10.10 um 17:00

Stefan Marinov, ein doppelter Dissident Herwig G. Höller im Gespräch mit Heinrich Pfandl Villa Perpetuum Mobile

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Mehr dazu unter: Villa Perpetuum Mobile

Villa Perpetuum Mobile

Die Künstler:innen

Villa Perpetuum Mobile

Kurzbiografien der Künstler:innen

Vadim Fishkin

  • Dark Times (2019–20)
  • Windy (2021)
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    Fortwährende Bewegung und damit verbundene Vorstellungen sind seit Langem ein zentrales Thema von Vadim Fishkin. Dark Times unterstreicht die endlosen Versuche, die Zeit zu verstehen, zu messen oder zu kontrollieren, sogar wenn sie „angehalten“, „hell“ oder „dunkel“ zu sein scheint. Windy steht für eine andere Form der fortwährenden Bewegung: Ein Bodenventilator erzeugt kontinuierlich Wirbel aus fliegenden Papierschnipseln, deren Umrisse an die Wand projiziert werden. Das Ensemble erinnert an ein Archiv, das sich weigert, zur Ruhe zu kommen.

Vadim Fishkin (1965, Penza, Russland) ist ein Künstler, der die Beziehungen zwischen Wissenschaft, persönlicher Erfahrung, Begehren und Fantasie, zwischen Metaphysik und Pragmatismus sowie zwischen dem Künstlichen und dem Realen erforscht. Er beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Methoden und nutzt den technologischen Fortschritt für poetische Zwecke. Viele seiner Werke sind von seinem charakteristischen Sinn für Humor geprägt. Fishkin hat an zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen teilgenommen, darunter vier Biennalen von Venedig, der Manifesta 1, Rotterdam, der Manifesta 10, Sankt Petersburg, der 3. Istanbul Biennale und der 9. Schanghai Biennale. Er lebt in Ljubljana.*

Pedro Gómez-Egaña

  • The Believers (2019)
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    Der Essbereich der Villa Perpetuum Mobile wird von Pedro Gomez-Egañas Installation eingenommen, die hier als Teil von Stefan Marinovs fiktivem Heim angebracht ist. The Believers ist nach einer kalifornischen Literaturzeitschrift benannt, die bei der sogenannten Kreativen Klasse beliebt ist. Der Tisch dient gleichzeitig als Arbeits- und Freizeitplatz, wie es bei jungen Berufstätigen des digitalen Zeitalters oft der Fall ist, deren Anfänge Marinov miterlebt hat und deren erste Start-up-Gurus ihn bei Amerika-Besuchen umworben haben könnten.

Pedro Gómez-Egaña (1976, Bucaramanga, Kolumbien) ist ein Künstler, der immersive Räume schafft, die die Wahrnehmung des Publikums verändern. Seine Arbeiten problematisieren kulturelle Definitionen von Zeit und Zeitlichkeit vor dem Hintergrund einer von Sättigung und Geschwindigkeit beherrschten Welt und erkunden, wie Zeit in unserer Medienkultur erlebt wird. Sie wurden in letzter Zeit unter anderem gezeigt bei: Staatliche Kunsthalle Baden-Baden; Munch Museum, Oslo; Opernhaus Oslo; Yarat Contemporary Art Space, Baku; Istanbul Biennale; Contour Biennale, Mechelen; Performa, New York; Kochi-Muziris Biennale; Marrakesch Biennale. Er lebt in Oslo.*

Michael Stevenson

  • Strategic-Level Spiritual Warfare (2014–23)
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    Michael Stevensons Installation testet eine Doktrin, die der Mathematiker, Dramatiker und Leibwächter José de Jésus Martínez einst aufstellte, als er die häufige Verwirrung vor Türen beobachtete: „Gibt sie nach, wenn man drückt … oder zieht?“ Er verstand diesen Moment als Begegnung mit dem absoluten Bösen. Zwei Türen aus dem Forum Stadtpark sind an einen Testmechanismus angeschlossen. Ihr Schwingen wird über pneumatische Schläuche gesteuert, die in einen entfernten Raum führen. Hier spielen vier KI-Bots verschiedene Computerspiele, deren Ergebnisse bestimmen, in welche Richtung die Türen nachgeben, und so die Begegnungen mit dem Bösen vervielfachen.

Michael Stevenson (1964, Inglewood, Neuseeland) ist ein Künstler und Pädagoge, der historische Forschung und Rekonstruktionen nutzt, um Installationen und Kunstwerke zu schaffen, die globale soziale, wirtschaftliche und ideologische Kräfte aufzeigen. Seine Werke konfrontieren die Betrachtenden häufig mit den materiellen, greifbaren Folgen dieser Kräfte und den physischen Realitäten, die sie hervorbringen. Stevenson vertrat Neuseeland auf der 50. Biennale von Venedig. Seine jüngsten Einzelausstellungen fanden im KW Institute for Contemporary Art, Berlin, im Kunstinstituut Melly, Rotterdam, und im Monash University Museum of Art, Melbourne, statt. Er lebt in Berlin.*

Hollis Frampton

  • Maxwell’s Demon (1968)
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    Hollis Framptons Kurzfilm ist ein Klassiker des experimentellen Kinos. Frampton, ein Schüler Ezra Pounds, war fasziniert von physikalischen Metaphern, darunter James Clerk Maxwells berühmtes thermodynamisches Gedankenexperiment. Indem er schnelle und langsame Gasmoleküle in einem Behälter voneinander trennt, erhitzt Maxwells imaginärer Dämon eine Hälfte des Behälters und kühlt die andere ab, sodass eine Wärmekraftmaschine diesen Temperaturunterschied nutzen kann, um ewig zu laufen. Framptons Film inszeniert diese endlose Bewegung, indem er Aufnahmen eines Mannes zeigt, der immer und immer wieder Liegestütze macht.

Hollis Frampton (1936, Wooster, OH, USA–1984, Buffalo, NY, USA) war ein Avantgarde-Filmemacher, Fotograf, Dichter und Kunsttheoretiker, der primär für seine strukturellen Filme aus den 1960er- und 1970er-Jahren bekannt ist. In Werken wie Zorns Lemma (1970), Nostalgia (1971) und Critical Mass (1971) kombiniert er Found Footage, Fotografie, Voiceover und zeitbasierte Effekte, um die Materialität des Films und die Beziehung zwischen Ton, Bild und Sprache zu untersuchen. Frampton interessierte sich sehr für Wissenschaft und Mathematik und war auch ein Pionier in den Bereichen computergenerierte Bilder und Videosynthese.*

Alice Creischer

  • Venetin Coliu (2023)
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    Die neu in Auftrag gegebene Installation von Alice Creischer ist nach einem sich (angeblich) selbst antreibenden Magnetmotor benannt, den Stefan Marinov 1992 zusammen mit zwei Mitarbeitern aus Treviso entwickelte – eines von vielen ähnlichen Experimenten. Die organischen Materialien verweisen auf Marinovs Brotberuf als Pferdepfleger und auf die biologische Grundlage aller Maschinen. Creischers Installation thematisiert die drastischen Umweltfolgen unserer energiehungrigen Zeit und den fehlerhaften Idealismus von Marinovs Blütezeit, als Freie Energie eine Utopie war, die der des freien Marktes gleichkam.

Alice Creischer (1960, Gerolstein, Deutschland) ist eine Künstlerin und Kuratorin, deren Praxis sich in den vergangenen zwanzig Jahren im Bereich der Institutions- und Wirtschaftskritik entwickelt hat. In letzter Zeit hat sie sich auf die Frühgeschichte des Kapitalismus und der Globalisierung konzentriert. Einzelausstellungen fanden kürzlich in der Wallach Art Gallery, New York, der Galerie Wedding, Berlin, und bei Culturgest, Lissabon statt. Creischer nahm an der Documenta 12, Kassel, der 13. Istanbul Biennale, der Kyiv Biennale 2015 und anderen teil. Ihre Arbeit als Co-Kuratorin (z. B. The Potosí Principle, 2010) geht mit ihrer künstlerischen und theoretischen Praxis einher. Sie lebt in Berlin.*

Stefan Marinovs Nachlass

Als Stefan Marinov 1997 Selbstmord beging, hinterließ er ein umfangreiches Werk und eine riesige Korrespondenz, von der Herwig G. Höller, damals Slawistikstudent, einen Teil rettete und aufbewahrte. Wie aus seinen Unterlagen hervorgeht, begann Marinovs Abkehr von der Physik nach Einstein bereits, während er noch in Bulgarien arbeitete, wo er wegen seiner Experimente in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wurde. Als unermüdlicher Verfasser von Petitionen und Beschwerden bombardierte Marinov wissenschaftliche Zeitschriften mit Beiträgen, antwortete ausführlich auf jede Ablehnung und veröffentlichte schließlich selbst Bücher in Form von Samisdat. In seiner Begeisterung für Freie Energie wurde er zu einem wichtigen Fürsprecher der religiöse Gemeinschaft Methernitha und ihrer Testatika-Maschine, die er für ein echtes Perpetuum mobile hielt. Einige von Marinovs Anhänger:innen glaubten, dass sein Tod kein Selbstmord war, sondern der Versuch, eine echte Quelle Freier Energie zu unterschlagen.