Urbane Unsicherheitspolitiken, häuslich-männliche Gewalt und Machtspiele rund ums Wohnen
Gabu Heindl und Drehli Robnik
Wenn das 'Gaslicht' flackert... – dann kann das bedeuten, dass die Versorgung von Haushalten mit Gas, Licht, Heizung unsicher, zunehmend unleistbar wird; und das nicht erst seit Putins Angriff, sondern für viele seit langem – aufgrund extremer Ungleichverteilung von Einkommen und Wohnraum bzw. Wohn-Sicherheit. Das Flackern des 'Gaslichts' ist aber auch ein Verunsicherungsmotiv in Kino-Thrillern, die seit bald einem Jahrhundert den häuslichen Wohnraum als einen Ort der Bedrohung vermitteln: Bedrohung aus dem Innen, durch deine(n) Nächsten. Die Filme positionieren uns in unserem Mitfiebern auf Seiten der Frauen und Kinder und ihrer Gegenwehr gegen männliche Gewalt im unheimlich gewordenen Heim.
Von diesen Thrillern, besonders den Gaslight-Filmen der 1940er, stammt das allgemeine Label Gaslighting: Es bedeutet Verunsicherung von Leuten im Alltag durch Manipulation, seitens einer Herrschaft, die sich als allmächtige Retter-Instanz aufspielt. Heute erfahren ganze Gesellschaften Gaslighting durch eine Politik, die verunsichern will: indem sie Urteilsfähigkeit und Öffentlichkeitsstrukturen zerstört; indem sie rassistische, klassistische, antimigrantische Panik rund um angebliche Sicherheitskrisen in urbanen Räumen verbreitet.
Entlang von Architektur und Film behandelt unser Vortrag Herrschaft durch Verunsicherung: von der Entrechtung der Kurzzeit-Mietenden bis zum Rechtsruck der Durchregierenden. Von Weißen, die ihre Macht und ihr Prachthaus, das ihnen 'von Haus aus' zusteht, nicht aufgeben, auch wenn ihnen zurecht (wie heute im Kino) "Get Out!" zugerufen wird – bis zu Sanctuary Cities: Das sind Städte, die von migrationspolitischen Regierungslinien der Abschottung abweichen, indem sie Geflüchteten sichere Unterkunft bieten.
Nicht zuletzt wollen wir – in Graz, der Stadt der keineswegs 'letzten' Allgemeinen Verunsicherung – diskutieren, wie sich Verunsicherung als politische Handlungsstrategie zurückgewinnen lässt. Wir brauchen nicht Flexibilisierung und Entfesselung, sondern Care und solidarische Sanftheit unter den Vielen in Verschiedenheit und Gleichheit – aber störend. Und so, dass Ausgänge wieder offen werden: gegenüber derjenigen Sicherheit, mit der Stadtraum privatisiert, Männerherrschaft zementiert, Landschaft zugebaut und Demokratie abgebaut wird. Diese Welt der Herrschaft, in der die Brutalität eine 'sichere Bank' hat, muss wieder unsicher werden.
Vortrag in deutscher Sprache.
Die Veranstaltung findet in Präsenz statt, ein Livestream ist auf unserem Youtube Kanal abrufbar.
Jenseits von rechtskonservativen Sicherheitsdiskursen sowie von der defensiv-kritischen Ablehnung des Sicherheitsbegriffs in linken Debatten, erfordert die gegenwärtig erlebte Verunsicherung neue Interpretationen. Diese durch unstete Lebensbedingungen und düstere Zukunftsprognosen gerahmte Verunsicherung soll in den Kontext der geteilten Sorgsamkeit und transnationalen Solidarität eingebettet werden. Im Rahmen der Vortragsreihe Sicherheit wieder sprechen laden die Sparten Gesellschaftspolitik und Architektur kritische sowie emanzipatorische Positionen ein, um über Infrastrukturen der (Un-)Sicherheit zu diskutieren und Möglichkeiten einer neuen Sorgepolitik zu umreißen.
Kuratiert von Sara T. Huber und Ana Jeinić
Gabu Heindl und Drehli Robnik
Gabu Heindl ist Architektin und Stadtplanerin in Wien, Professorin an der Uni Kassel und an der AA London.
Drehli Robnik philosophiert zu Film/Politik; schreibt Bücher zu Kontrollhorror, Kracauer und Faschismus.
Folgende aktuelle bzw. druckfrische Bücher von Gabu Heindl und Drehli Robnik werden präsentiert:
Drehli Robnik, Joachim Schätz (Hrsg.): Gewohnte Gewalt. Häusliche Brutalität und heimliche Bedrohung im Spannungskino. Wien: Sonderzahl 2022.
Gabu Heindl: Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung. Wien: Mandelbaum 2020.
Drehli Robnik (Hrsg.): Klassen sehen. Soziale Konflikte und ihre Szenarien. Münster: Unrast Verlag 2021
Drehli Robnik: Ansteckkino: Eine politische Philosophie und Geschichte des Pandemie-Spielfilms von 1919 bis Covid-19. Berlin: neofelis 2020