"Der Zeitzeuge hatte in den letzten fünfzig Jahren mehrere Funktionen, einige von ihnen gleichzeitig: Er war Zeuge im juristischen Sinn, Dokument, Inszenierung, Schauspieler, Gegen-Erzählung, Forschungsobjekt, universalistische und austauschbare Deko historischer Erzählungen und Metapher. Fast vergisst man dabei ein ganz grundlegendes Faktum: Er ist vor allem auch Individuum."
-aus Jörg Skriebeleit: Das Verschwinden der Zeitzeugen. Metapher eines Übergangs.
Erzählungen aus dem 2. Weltkrieg haben in Österreich eine große politische Bedeutung. Die Nachfrage nach Zeitzeug:innen wuchs seit dem Prozess gegen Adolf Eichmann bis ins neue Jahrtausend stetig. Mittlerweile gibt es eine Masse an Aufzeichnungen, Dokumentarfilmen, Literatur und Projekten. Alle sind von der Zeit ihrer Entstehung geprägt und davon wer mit welcher Intention daran gearbeitet hat.
Das Erzählen über Gräueltaten des Krieges bedeutet eine Auseinandersetzung mit persönlicher Geschichte und traumatischen Erlebnissen, mit dem Wesen der Zeit des Krieges. Das bedeutet die Erzählung muss in einem Rahmen gebettet werden, der den Kontext der Geschichte aufarbeitet. In der Schule werden zum Beispiel Schüler:innen, je nach Hintergrund der Zeitzeug:innen, vorbereitet. Im wissenschaftlichen Bereich und bei filmischen Arbeiten ist es ebenso von Bedeutung wie diese Gespräche aussehen und wie weiter mit dem Material gearbeitet wird. Das hängt zusätzlich auch davon ab, wie aktuelle politische Debatten geführt werden und wie der gesellschaftliche, politische und juristische Kontext aussieht.
In einem Gespräch mit dem Historiker Heimo Halbrainer, der Lehrerbeauftragten Martina Pfistermüller-Czar, Bettina Ramp und dem Filmemacher Günter Schilhan werden wir über die Erfahrungen in der Begegnung mit Zeitzeug:innen sprechen. Moderiert von Barbara Wilding.
Gefördert vom Zukunftsfonds der Republik Österreich.
Die Kinopremiere von "Wos tur i? Über die Notwendigkeit des Erzählens" findet am 12. Oktober im KIZ Royal-Kino in Graz statt.
Weitere Infos:
https://linktr.ee/wosturi
Instagram: @wos_turi_film
https://wilba.mur.at/wosturi.htm
Kurzbiografien der Beteiligten
Dr. Heimo Halbrainer wurde in Knittelfeld geboren und studierte Geschichte sowie Deutsche Philologie an der Universität Graz. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Widerstand und Verfolgung, Jüdisches Leben, Kulturpolitik, Nachkriegsjustiz. Er ist Leiter von CLIO, einem Verein für Geschichts- und Bildungsarbeit und Obmann des KZ-Verbands Steiermark. Weiters hat er zahlreiche Publikationen verfasst.
Mehr unter: www.clio-graz.net
Dr. Martina Pfistermüller-Czar wurde in Traun geboren und studierte Geschichte und Anglistik/Amerikanistik an der Universität Graz, der Northwestern University in Chicago und der Bowling Green State University in Ohio und absolvierte außerdem den Lehrgang Pädagogik an Gedächtnisorten der PH Oberösterreich in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem. Sie unterrichtet seit 1999 an der GIBS (Graz International Bilingual School) Geschichte und Englisch, sowie Fachdidaktik an der Universität Wien mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus, Rechtsextremismus und Einsatz von Zeitzeug:innen im Unterricht.
Günter Schilhan ist Journalist und Redakteur beim ORF sowie unabhängiger Filmemacher mit der 1993 von ihm gegründeten Produktionsfirma Filmpark. Er ist Regisseur von mehr als 130 Dokumentarfilmen, darunter auch Über.Leben über Berthold Kaufmann, der in dem Dokumentarfilm über die Zeit des Nationalsozialismus spricht. Günter Schilhan hat für den ORF Interviews mit Maria Cäsar und weiteren Zeitzeug:innen geführt.
Mehr unter: www.filmpark.at
Als Historikerin begleite Bettina Ramp seit dem Jahr 2000 unterschiedliche Projekte mit ZeitzeugInnen zum Beispiel im Rahmen vom Generationendialog für die ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus. Einblicke in die Auseinandersetzung mit schulischen Strukturen sammelte sie in der Rektoratsdirektion der pädagogischen Hochschule und derzeit arbeitet sie in der Bibliothek und Bildungsabteilung der Arbeiterkammer Steiermark, auch mit Zeitzeug:innen-Projekten.
Barbara Wilding (Moderatorin und Veranstalterin) arbeitet als Filmemacherin im Bereich des historischen und künstlerischen Dokumentarfilms. Während und nach dem Studium für Bildende Kunst in Wien bis 2011, lag ihr Fokus auf politischen und historischen Auseinandersetzungen und Aufarbeitungen.
Für die Entwicklung von Erzählstrategien spielen feministische Grundsätze und orale Traditionen eine große Rolle. Arbeiter:innen-Erfahrung als Schneiderin, Gärtnerin, in der Kinderbetreuung, Gastronomie und Abfall-Wirtschaft.