Teil I
Competing with Public Space
Der öffentliche Raum wird heutzutage immer stärker von Sicherheitskräften kontrolliert und mit Werbung überflutet, sodass es immer schwieriger wird, künstlerische Situationen zu schaffen, die die Menschen auch wahrnehmen. Oft scheint es, als ob die einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, darin besteht, das öffentliche Leben zu stören. Doch dies vergrämt häufig ein breiteres Publikum, das der städtische Raum mit all seinen anderen Attraktionen fest im Griff behält. Was können Künstler:innen heute tun, um mit und gegen die Strukturen und Einschränkungen des öffentlichen Raums zu arbeiten – und gibt es so etwas wie den öffentlichen Raum überhaupt noch? Wie kann man ein breiteres Publikum im abgesicherten und übermäßig kommerzialisierten öffentlichen Raum für sich einnehmen? Was muss die zeitgenössische Kunst tun, um ihr Publikum neu zu erfinden, in einer Zeit, in der sie viel zu oft nur eine kleine Gruppe von Auserwählten anspricht?
10:00–12:30
Flo Kasearu
Tino Sehgal
Mounira Al Solh
Im Gespräch mit Ekaterina Degot und Christoph Platz
Respondentin: Mirela Baciak
Teil II
New Ecologies of Exhibition-Making
Die jüngsten Lockdowns haben deutlich gemacht, dass die zeitgenössische Kunst mit einer Krise der Nachhaltigkeit konfrontiert ist. Dies betrifft nicht nur die Mobilität von internationalen Kurator:innen, Künstler:innen und Kunstwerken sowie den CO2-Fußabdruck, den sie hinterlassen, sondern auch die Beziehung zum Publikum, sei es die Bevölkerung einer Stadt, in der ein Festival stattfindet, oder der breitere Adressat der Gesellschaft insgesamt. Andere Kulturbereiche wie Film, Mode oder Musik waren sehr erfolgreich darin, auf die massive Nachfrage nach Kultur zu reagieren, solange die Menschen zu Hause festsaßen, während die zeitgenössische Kunst ganz gut ohne Publikum zurechtkam, was sie mehr und mehr wie eine Wohlstandsblase erscheinen ließ, die kurz davor ist, zu platzen. Welche Möglichkeiten gibt es, die öffentliche Reichweite der Kultur zu erweitern und sich wieder mit Orten und Ortsansässigen zu beschäftigen? Welche Rolle spielt der Dialog zwischen Theater, Mode, Film und bildender Kunst dabei, ein neues Publikum zu gewinnen? Kann sich die zeitgenössische Kunst als „systemrelevant“ erweisen?
15:00–17:30
Christoph Gurk
Matteo Lucchetti
Aneta Rostkowska
Sabina Sabolović (WHW)
Im Gespräch mit Ekaterina Degot und David Riff
Respondent: Christoph Platz
steirischer herbst Podiumsdiskussionen
Christoph Gurk (1962, Ratingen, Deutschland) ist Kurator und Dramaturg. Zwischen 1998 und 1999 war er Kurator beim steirischen herbst, 2001 bis 2009 Dramaturg an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter Frank Castorf. 2009 holte ihn Matthias Lilienthal ans HAU Hebbel am Ufer, bevor er 2015 gemeinsam mit Lilienthal an die Münchner Kammerspiele ging, wo er bis 2020 als Dramaturg und Kurator für Freies Theater und Musik und als Mitglied der künstlerischen Leitung wirkte. Christoph Gurk leitet aktuell das gemeinsame Kunst- und Kulturprojekt St. Pölten 2024 der Stadt St. Pölten und des Landes Niederösterreich.
Flo Kasearu (1985, Tallinn, Estland) arbeitet mit Videos, Zeichnungen, Gemälden, Installationen und Performances, die alle auf sozialen und gemeinschaftlichen Prozessen beruhen. Ihr Werk spielt ironisch mit der Grenze zwischen öffentlich und privat sowie persönlich und politisch und behandelt Themen wie Freiheit, wirtschaftliche Depression, Nationalismus und Gewalt in der Familie. Sie lebt in Tallinn.
Matteo Lucchetti (1984, Sarzana, Italien) ist Kurator, Kunsthistoriker und Autor. Sein kuratorisches Interesse gilt vor allem künstlerischen Praktiken, die die Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft neu definieren. Seit 2010 kuratiert er zusammen mit Judith Wielander Visible, ein Forschungsprojekt und der erste zweijährlich verliehene europäische Preis für sozial engagierte künstlerische Praktiken in einem globalen Kontext, gegründet von Cittadellarte – Fondazione Pistoletto und der Fondazione Zegna. Lucchetti arbeitete von 2017 bis 2018 als Kurator für Ausstellungen und öffentliche Programme am BAK in Utrecht. Er lebt in Brüssel.
Aneta Rostkowska (1979, Szczecin, Polen) ist Kuratorin und Autorin. Im Jahr 2012 entwickelte sie zusammen mit Jakub Woynarowski das Konzept des „Gonzo Curating“, einer kreativen Praxis der Aneignung beliebiger Phänomene durch die Konstruktion einer halbfiktionalen Erzählung um sie herum. Im Geiste des „Gonzo Curating“ gründeten sie die fiktive Institution „Wawel Castle Centre of Contemporary Art“. Von 2016 bis 2019 arbeitete sie als Kuratorin an der Akademie der Künste der Welt. Seit 2019 leitet sie die Temporary Gallery, Centre for Contemporary Art in Köln. Sie lebt in Köln.Sabina Sabolović (1975, Zagreb, Jugoslawien) ist Kuratorin und Mitglied des kuratorischen Kollektivs What, How & for Whom / WHW, das 1999 in Zagreb gegründet wurde (zusammen mit Ivet Ćurlin, Ana Dević und Nataša Ilić). WHW organisiert Produktions-, Ausstellungs- und Publikationsprojekte und engagiert sich in langfristigen kollaborativen Plattformen und in der Kulturpolitik. Seit 2000 hat das Kollektiv wichtige Beiträge zum kuratorischen Diskurs geleistet und 2003 die gemeinnützige Galerija Nova in Zagreb eröffnet. Im März 2019 wurden Sabina Sabolović und zwei weitere Mitglieder des Kollektivs (Ivet Ćurlin und Nataša Ilić) zu den Direktorinnen der Kunsthalle Wien ernannt. Sabina Sabolović lebt in Wien.
Tino Sehgal (1976, London, Vereinigtes Königreich) ist ein Künstler, der mithilfe von Stimme, Nachstellung, Sprache, Bewegung, Dramaturgie und Interaktion die Erfahrungen der Besucher:innen formt. Seine Arbeiten werden regelmäßig in Museen oder Galerien inszeniert und von geschulten Personen ausgeführt. Er lebt in Berlin.
Mounira Al Solh (1978, Beirut, Libanon) arbeitet als Künstlerin mit einer Mischung aus Videos, Videoinstallationen, Malerei, Zeichnungen, Stickereien und performativen Gesten. Stets selbstreflexiv und ironisch setzt sich ihre Arbeit mit feministischen Themen und persönlichen Lebensgeschichten auseinander und ist dabei politisch und eskapistisch zugleich. Sie lebt in Beirut und Zutphen.